Wein trinken.
Das schmeckt - oder eben nicht. Punkt.


Chardon, die Distel Namensgeber des Chardonnay

von Heiko Morf

Wein trinken. Das schmeckt - oder eben nicht. Punkt. Das sag ich oft und liege doch oft daneben. Und knapp daneben heisst: Nicht Verkauft. Und es ist keine Mär, das der Konsument entscheidet. Sie entscheiden doch weshalb warum wieso dieser Wein und nicht der andere.

Beispiel: Sie möchten eine Regenjacke kaufen. Sie betreten den Laden und der Verkäufer sagt lapidar wahrheitsgetreu: Diese Jacken hier sind alle regendicht. Heissen ja auch Regenjacke. Und Sie denken über die Dichte nach, wer denn nun dicht, ob das Ohr oder ihr Gegenüber oder die Absicht eine regendichte Jacke zu kaufen? Ich kaufe eine Regenjacke - und ich will eine, die hält was sie verspricht. Eine wo draufsteht, was sie kann und eine die mir versichert dicht zu sein. Kann denn Regen Glaube sein? Eine Regenjacke auf jeden Fall kaum. Sie darf gefallen doch über den Kauf und das Zutrauen entscheiden andere Schlüsselfaktoren. Als da wären Wassersäule, robuster Nylon-Ripstop-Gewebe, DryVent-Technologie. Kennen Sie nicht? Ist aber dicht. Eine hochwertige, wasserdichte und atmungsaktive Technologie mit Polyurethan-Beschichtung, synthetischer Heatseeker Wärmeisolierung und wasserdichte HyVent Shell. Das überzeugt, das schafft Distanz technischer Art, da ist was dahinter, da steckt was drin in diesem Stück Stoff. Und der Verkäufer mit ernster verantwortungsvoller Miene nickt zustimmend unterstützend. Eine gute Wahl, in diesem Preissegment mitunter das Beste was wir haben. Der Glaube ist da, der Kauf gelingt.

Aber aber Regenjacke ist doch nicht gleich Wein. Das stimmt, da gibt es Unterschiede, z.B.: Regenjackeproduzent: “Produkte mit unübertroffener Leistung zu gestalten ist unsere grösste Leidenschaft“. Wein: Ich produziere um das Leiden kurzfristig auszutreiben. RJP: „Wir definieren die Grenzen jeden Tag neu“. Wein: Ich freue mich ein Produkt zu schaffen, das erst nach Jahren seine natürliche Grenze erreicht. RJP: “Damit auch Sie ihre eigenen Grenzen neu setzen können“. Wein: Ich: So genau will ich meine Kundschaft gar nicht kennen.

Ich lese gerne Bücher, weil gerade wenn die Zeit knapp und das Wissen weiss, es kommt auch keine dazu, möchte ich diese Nichtzeit ersetzen. Kompensationskäufe. Ich kaufe Bücher quasi Etikettentrinkermässig. Ich nehme also ein Buch zur Hand: Sein Titel „Rauwand“ und überfliege kurz den Umschlag. Im Klappentext steht: „ Ein umwerfendes Buch, erfrischend komisch und ernsthaft zugleich erzählt. Ein Naturtalent….usw.“ ( Aimee Klar in der Faz zu „Kieselrauschen“)

Ich drehe das Buch um und lese nochmals ganz langsam: Rauwand. Doch die Kritik und Werbung des Buches stammt von einem älteren Buch, dem Kieselrauschen. Und das finde ich mitunter blöd. Obschon alles wahr daran ist, fühle ich mich blöd. Schenke ich Ihnen einen Wein von 2012 mit den Worten von 2009 ein? Das würd ich nicht so deklarieren, weil Sie würden denken: der verkauft mich ja für dumm.

Der Wein schmeckt - oder eben nicht. Punkt.

Und ich verstehe, in einem Weinladen stehend, dass es eben nicht reicht, der Suche einer Kundin nach einem Wein mit der Antwort „ Alle diese Weine sind trinkbar“ zu entgegnen. Worte und Geschichten sollen die Kundin geleiten und den Glauben aufbauen, dass diese Flasche ein Genuss wird. Punkt.

Bitterzart fliehen Mandelblütenklänge das Glas. Feine ziselierte Thymiannoten schwingen oben aus. Im Gaumen erfrischen leichtes Grapefruit und Holunder. Sanft perlt der Wein die Kehle hinab. Ein Hauch getrockneter Quitte, gebettet auf mineralischem Salz, lässt ihn lange ausklingen. Prädikat: Sommerflirren.

Hart und klar wie geschliffener Damaszener Stahl fliesst der Wein über Zunge und Wand, was für eine Wucht. Verlassen, irritiert und fasziniert zugleich sucht die Zunge Halt. Doch dann: eine Blase steigt auf und perlt über die Schleimhäute, rollt sich auf und zerschellt mit einem Tosen an der Schneidewand des 1. Stockzahnes. Geradezu unheimlich verfolgen die Nervenbahnen den weiteren Verlauf. Die rohe Kraft des Weines zieht uns in Bann und verklingt wie Schaumspitzen vergangener Schiffsreisen am Horizont. Prädikat: Grenzenlos.

Die Weinwelt ist ein hartes Pflaster und zartes Pflänzlein zugleich. Der Wettbewerb international und unerbittlich. Viele grosse Handelshäuser sind nicht im Terroir verwurzelt, nein ihre Trauben wurzeln von Chile bis Australien im selben Stammhaus Frankreichs oder Spaniens. Und so denke ich laut:

Ist das nicht eine Chance für das Nationale,- das Besondere, - die Abgrenzung? Liegt hier nicht Potential den Unterschied von Kulturgut und kultiviertem Gut herauszuarbeiten?

Dieser Wein ausgebaut in heimischer Eiche, gezimmert im Rheintal, gestossen und vergoren in halboffenen Plasten aus dem Thurgau. Sein Rückgrat durch Macerierung in Basler Stahl erreicht. Und der Stössel ein Unikat. Sein Ursprung ein in den Reformationszügen verwendetes Katapult, welches unter den Lehnherren zu Stäfa redlich geteilt und ausgeweidet. Waldmannsche Art halt. Die Lehnherren weitsichtig und das Monstrum zu bäuerischem Werkzeug verarbeitet. Schwerter zu Pflugscharen quasi. Und diesem Akt ist der Stössel entsprungen, der von Hand zu Hand, von Generation zu Generation weitergereicht wird. Und Jahr für Jahr einen historisch zu friedlichem Beisammensein geprägten Wein gereicht. Punkt.

Was hab ich Ihnen nun vom Wein erzählt. Banal, trivial. Weine gibt so viele Hände werden Sie nie besitzen, so viele Parkbänke nie einsitzen. Wie kommt denn nun mein Wein – als Synonym für Wein schlechthin zu Ihnen, verehrtes Publikum.

Das ist der Punkt – und es ist der Punkt. Er ist grün wie der grüne Punkt nur viel rarer und reiner. Es ist die Essenz des Blickkontaktes. Ursprung des Sehens.

Jedes Schiff, das in den Weiten des Meeres entschwindet – und mit ihm die Hoffnung auf ein neues Leben, einen Neuanfang in fernen Gefilden. Natürlich stets mit uns als Alter-Ego in der Hauptrolle gedacht – denkend und lenkend auf zu neuen Abenteuern und Erfahrungen. Eben gerade nicht im stickigen Maschinenraum, ölverschmiert und von ruchlosen Gesellen Tag und Nacht geplagt, weil zu feingliedrig gebaut und sich in Pausen den Menschen entziehend in Wörter verschwindend. Nein du oder ich, als Protagonist den Wind in den Haaren, die Zukunft in der Gischt. Splasch –die Gischt uns ganz gut abgewischt.

Wo waren wir? Richtig beim Punkt des Sehens. Beim Punkt des Geschehens.

Sie mäandern durch die Gestelle, lassen die Augen schweifen. Etiketten in allen Grössen, Farben und Papiernuancen. Es schwindet die Augenkraft. Sie treten einen Schritt zurück, ein letzter Blick ins Meer der Flaschen und wo verfängt sich der Blick? Sie wissen es: Beim Punkt. Der letzte Hoffnungsschimmer in der Fülle der Vielfalt. Einfach, schlicht und doch ein Versprechen.

Sie wollen einfach ein Glas Wein trinken? Gleich doch vorab noch einige Worte. Wein ist nicht gleich Wein. Punkt. Erinnern Sie sich an den monatelangen Hype um die Neuerfindung der Swissair? Was für ein Raten und Bangen auf den grossen Bang. Vorhang auf für Tyler Brülee– tatata –„Swiss“. Ich war vor den Kopf gestossen. Ist das ihr ernst??? Es war ihnen ernst und ich kann Ihnen versichern: „Ich fühlte mich verschaukelt, und dies nicht zu knapp. Hatte gar grosse Lust den Tyler zu brülieren.“ Doch das war damals. Heute weiss ich: „Ich hatte ihn falsch verstanden, war vielleicht noch zu jung um zu verstehen.“ Heute weiss ich wie wichtig es ist die Geschichte des Weins zu fermentieren, das Kulturgut Alkohol kultiviert in Aufmachung und Verpackung zu transportieren. In einem Punkt. Dem Ursprung des Sehens und Gesehen werdens.

Und wenn Sie abends am Küchentisch sitzen und wieder einmal zweifeln am Sinn – am Sinnieren sind über die Unwucht von Wörtern, die Kommunikationslinien in down-Spiralen verwandeln, - und sich fragen, ob denn all das Reden und all das Wissen, das flirrt und schwirrt, und sich nicht bändigen lässt und die Nächte taghell erleuchten, weil alles so emsig auf der Suche nach dem Echten oder der Flucht vor der Einsamkeit. Dann, dann sind Sie froh eine Flasche zu öffnen, ein Glas zu füllen. Und ich weiss Sie wollen keine Geschichte dazu, keine Wörter mehr und auch der Wunder ist für heute genug. Punkt.


rotkalt weinbau – heiko morf, zürich

Seit 1996 arbeite ich in den Reben und an den Weinen. Ende 2008 habe ich den Schritt in die Selbständigkeit getan und keltere die eigenen Tropfen unter dem Namen rotkalt weinbau. Der Name ist eine Hommage an meine ersten Kontakte mit Wein, dem leichten Roten aus dem Kühlschrank, und gleichzeitig auch Ausblick, einen solchen wieder herzustellen.
Meine Lehr- und Wanderjahre führten mich vom Zürichsee nach Spanien, von Australien an den heimatlichen Rhein und wieder zurück nach Zürich. So unterschiedlich die Natur und die Trauben an diesen Orten sind, so unterschiedlich sind die Menschen und die Art, wie sie den Wein herstellen. Das Handwerk an verschiedenen Orten gelernt zu haben ist meine Scholle um als Störwinzer unterwegs zu sein. So passe ich den Ausbau der Weine stets den vorhandenen Gegebenheiten an. - an die Trauben, welche Jahr für Jahr verschieden daher kommen, an die gemachten Erfahrungen, an die Infrastruktur des Kellers sowie an den Blick über meinen eigenen Horizont hinaus. Im Naturkeller, in dem ich momentan keltere, ist die Arbeit auf die Zeit von Frühling bis Herbst beschränkt, da die Temperaturen im Keller sich den Aussentemperaturen angleichen. Es ist entsprechend traditionelles Werken gefragt. Viele Prozesse im Jungwein kommen erst wieder durch die Wärme des hereinströmenden Frühlings in Gang. Ich habe gelernt zu warten – und werde wieder und wieder von den Weinen belohnt.
Meine Weine sind sanft, sind rau. Sie reifen langsam in Tank und Fass und werden von Hand – den vielen Händen meiner HelferInnen – abgefüllt. Die kleine Produktion von wenigen tausend Flaschen teilt sich in mehrere verschieden gekelterte Weine.
Ich freue mich diese Weine mit Ihnen und Euch zu teilen.
Heiko Morf

Pinot Noir 2009

Der Wein verfügt über einen würzigen Auftakt im Gaumen. Leichte Anis-Noten, die in kräftige Waldbeeren übergehen wechseln über in wilde Kräuter und Nelken. Sein Abgang ist aromatisch breit gefächert und hält lange an. Spannend. 13.5 % AOC Zürich 14-16 Grad.

Pinot Noir 2010

Tiefer Duft von Waldbeeren geht über zu Wacholder, Minze und einem Hauch Nelke. Würzig und kräftig im Geschmack verweilt der Wein im Gaumen. Sein Körper und Alkoholgehalt ist im Mittelgewicht verankert, was ihm ermöglicht, den Abend allein zu eröffnen wie auch getafelt zu beenden. Linientreu. 12.5% AOC Zürich 14-18 Grad.

Blauburgunder 2011

Granatrot schimmert der Wein im Glas. Über Brombeerhaine tauchen wir in den Wald zu Pfifferlingen und weiter ins Pfefferland, wo auch Lakritze wächst. Kräftig und voll zieht er seine Bahn durch die Nacht. 13.5% AOC Zürich 14-18 Grad.

Volver 2011

Warme und reife Fruchtnoten entsteigen dem Kelch. Weich und elegant im Antrunk öffnet sich ein Strauss verschiedener Sinneseindrücke im Gaumen. Vielschichtig gereifte Opulenz im samtenen Kleid, von Rosen, Zimt und Nelken begleitet, verweilt der Volver fast endlos im Gaumen. 14% AOC Zürich 14-18 Grad.

Barré 2011

Ein kräftig warmer Pinot, der die Nasenflügel mit Pfefferlebkuchen, Pfifferling und reifen Aprikose umspielt. Wer Süssholz raspeln möchte hat hier Gesellschaft. Ein Hauch Fruchtsüsse begleitet den Wein die Kehle hinunter. Schöner, schwerer Wein zur gedeckten Tafel. Wuchtig und filigran zugleich. 13.5% AOC Zürich 14-18 Grad.

Sankt Laurent 2012

Ein erfrischend fruchtiger Alltagswein. Rural gekeltert dominieren schwarzer Holunder, Cassis bis hin zu Dörrbirnen im Glas. Der Gaumen erfreut sich an Herbtönen des grünen Peperoni und wird umschmeichelt von der Süsse des Roten. Die Erinnerung direktiv: nachfüllen bitte. 12.5% AOC Zürich 14-18 Grad.

Tinnert 2012

Tiefrot blicken wir ins Glas: schwarzer Holunder, dunkle süsse Brombeeren, Leder und Anis steigen auf. Doch kaum im Gaumen werden Wein und Backen munter. Eine frische raue Brise mit Lakritze und ungeschliffenem Bernstein nimmt uns mit auf die Fahrt. Schlicht tinnert. 13% AOC Zürich 14-18 Grad.

Müller-Thurgau 2014

Hell ist sein Kleid. Lindenblüten, Birne und weisser wilder Pfirsich sein Duft. Am Gaumen belebende Zitrusfrucht. In sich ruhend spielt der Wein über die Zunge und ehe wir gewahr, ist er fort. Ein Hauch von Wein, eine Erinnerung nur, flüchtiger Traum. 11.5% AOC Zürich 10-14 Grad